Experten im Gespräch: Bodenfugen – die Stiefkinder am Bau (IVD 698)
Wenn das Thema Bodenfugen regelmäßig und durchaus auch kontrovers diskutiert wird, zeigt das zweierlei. Erstens: Es ist immer dann ein hochsensibles Thema, wenn es z.B. um Abdichtungen gegen wassergefährdende Stoffe geht. Zweitens: Es ist ein Thema, bei dem vielfach die Unsicherheit nur von der Unkenntnis übertroffen wird. Wie ist die Gesetzeslage? Wie sind die Ausführungsbestimmungen? Wer ist wofür zuständig? Welcher Dichtstoff darf wo eingesetzt werden? Wer darf überhaupt ausführen? Diese Fragen diskutierten Vertreter von Investoren, aus Handwerk und Industrie im Rahmen einer Expertenrunde des INDUSTRIEVERBANDES DICHTSTOFFE E.V. IVD in Düsseldorf. Thema: „Bodenfugen – die Stiefkinder in Planung und Ausführung“.
Die Abdichtung von Bodenfugen stellt besonders hohe Anforderungen an alle Beteiligten und ist von ihnen deshalb gemeinsam zu verantworten. Schon die Anforderungen an Fugen ohne chemische Belastung sind ebenso hoch wie vielfältig: Ob auf nur begehbaren oder auch befahrenen Bodenflächen, ob auf Balkonen und Terrassen oder in großen Lagerhallen – die möglichen Belastungen sind exakt zu planen. Das gilt erst recht, wo z.B. chemische Belastungen hinzutreten: auf HBV- (Herstellen, Behandeln, Verwenden) oder LAU-Anlagen (Lagern, Abfüllen, Umschlagen wassergefährdender Stoffe). Konstruktion, Berechnung und Auswahl des einzusetzenden Dichtstoffsystems (Fugendichtstoff, Voranstrich, Hinterfüllmaterial) im Rahmen der Aufgabenstellung sind Planungsaufgaben. Der Dichtstoffhersteller ist verantwortlich für die Qualität und die Konformität der Eigenschaften und Daten seiner Produkte, Angaben, auf die Planer und Verarbeiter angewiesen sind. An den ausführenden Betrieb schließlich sind besondere Anforderungen auch im Blick auf die notwendigen Vorarbeiten gestellt. Deshalb sollten mit der Abdichtung von Bodenfugen nur erfahrene Fachbetriebe beauftragt werden. „Soweit der Sollzustand“, stellte Louis Schnabl, Moderator der Expertenrunde, fest. „Doch wie sieht die Realität aus?“
Im Dschungel der Regeln
Im Idealfall sind Regeln dazu da, sich im Dschungel zurechtzufinden. Was aber, wenn die Regeln selbst zum Dschungel werden? Das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) und die Landesbauordnungen – 16 Stück –sind die Grundlage für die Ausführung. Dann gibt es die Zulassung für die eingesetzten Produkte nach der Bauproduktenrichtlinie auf nationaler Ebene, wobei im Zuge der Harmonisierung auf europäischer Ebene auch die CE-Kennzeichnung gebraucht wird. „Bei Fugenabdichtungen sind Systeme dringend nötig“, so Prof. Dr. Horst Bossenmayer, Präsident des DIBt Berlin. „Dem DIBt liegt eine ganze Reihe entsprechender Anträge auf europäische technische Zulassungen vor. Unter der Flagge der Bauproduktenrichtlinie haben wir nicht nur physikalisch, sondern auch ökologisch ein internationales Mandat – mit wachsender Bedeutung.“ Welche gesetzlichen Bestimmungen sind grundsätzlich in welchem Bereich der Bodenfugen zu beachten? Kann der „Normalverbraucher“, ob Dichtstoffhersteller, Planer oder Ausführungsbetrieb, überhaupt noch das Wirrwarr der Bestimmungen durchschauen und beherrschen? Wo gibt es Information? Wer ist zuständig? International? Bundesweit? Regional? „Es gab erhebliche Unsicherheiten und einen ganzen Wust an Vorschriften, bevor das DIBt tätig wurde“, legte Dipl.-Ing. Ullrich Kluge, Abt. Gewässerschutz beim DIBt, dar, „ganz unterschiedliche Regelwerke bei teilweise gleicher technischer Beanspruchung.“ „Den Verarbeitern wie den Planern wird eindeutig zuviel zugemutet“, meint auch IVD-Vorsitzender Heinz Ohm. „Einerseits sind die Anforderungen berechtigt, andererseits ist die Menge und sind die Inhalte dieser Papiere kaum zu bewältigen. Überall ist Unsicherheit festzustellen. Nicht, weil es nicht geht, sondern weil es nicht überschaubar ist.“ Wir brauchen offensichtlich neue Wege der Kommunikation.Anforderungen klar beschreiben
Und zwar von Anfang an. Konstruktion, Berechnung und Auswahl des einzusetzenden Dichtstoffsystems sind Planungsaufgaben. Aber erfüllt der Planer diese Aufgabe wirklich? Ullrich Kluge stellt große Defizite bei Planern und Ingenieuren fest: „Die häufig komplexen Anforderungen in ingenieurtechnischer Hinsicht führen zu Unsicherheit, auch wenn es sich bei den Planungsbüros ja um Fachbetriebe handelt.“ Es gibt offenbar zu wenig Schulungsangebote, oder die Schulungsangebote werden nicht ausreichend wahrgenommen. Kurt Haaf, Technischer Vorsitzender des Fachverbandes Fugenabdichtung e.V., beobachtet das vor allem an den Ausschreibungen. „Viele Planer sind offensichtlich schon bei praxisgerechten Ausschreibungen mit den genau zu beschreibenden Anforderungen unter Angabe des anzuwendenden Dichtungssystems überfordert.“ Kein Wunder also, wenn in diesem Bereich zwar die Produkte der Industrie Spitze sind, aber die Schäden infolge Planungs- und Ausführungsmängeln teilweise alarmierende Anteile von 60% und mehr erreichen.Weniger Qualifikation = mehr Bauschäden
Den Bereich Fliesen und Platten haben die ausführenden Betriebe in der Regel im Griff. „Aber was über 08/15 hinausgeht, liegt im Argen“, so Kurt Haaf. „Denn wenn es um Tankstellen, Waschplätze, Chemieanlagen oder LAU-Anwendungen geht, dann wird es schwierig. Erstens, weil oft dafür schon in der Ausschreibung praktisch alle Grundlagen fehlen. ‚Chemikalienbeständig und abwassergesichert‘ ist als Anforderungsprofil einfach zu wenig. Und zweitens, weil viele Investoren aus Kurzsichtigkeit in dieser Ausschreibung nicht auf die Qualifikation des Auftragnehmers achten, sondern nur auf den Preis. Vor allem Generalunternehmer, die nicht über den Gewährleistungshorizont hinaus denken wollen, tun sich hier oft unrühmlich hervor. Wer die Daumenschrauben Zeit- und Preisdruck anlegt, programmiert Applikationsfehler.“
Wo keine Qualifikation gefordert wird, ist es quasi „Naturgesetz“, dass die Nachfrage das Angebot regelt, also eine große Zahl von Anbietern hervorbringt, die nicht wirklich Fachbetriebe sind und deren Hauptqualifikation der niedrige Preis ist. „Hier hat uns die Politik im Stich gelassen“, klagte Haaf. Es gab eine gemeinsame Initiative von IVD und FVF, den Beruf des Baufugenabdichters als Ausbildungsberuf in die Handwerksrolle B eintragen zu lassen, so dass eine Mindestqualifikation Bedingung geworden wäre. Diese allgemeine Qualifikation ist gescheitert. Ergebnis: eine Zweiklassengesellschaft mit einer Masse gering qualifizierter Betriebe und einer Elite von Fachbetrieben, so zum Beispiel die Mitglieder des FVF, die sich u.a. bei den Schulungen des IVD in Jüterbog und Dortmund und den Qualifizierungslehrgängen des FVF in Fulda fortgebildet haben.“
Investoren brauchen sachkundige Partner
Sachkundige Partner auf Seiten der Ausführenden wie der Planer sind für die Investoren unumgänglich. „Die schleichende Verschlankung in der Industrie hat auch das Outsourcing unseres eigenen fachkundigen Personals mit sich gebracht, so Dr. Dieter Lange, Leiter Forschung/Entwicklung bei AKZO Thioplast Chemicals. „Vielfach fehlt in der Industrie das Ingenieurpotential. Wenn wir z.B. eine neue Abfüllanlage errichten wollen, haben wir das Produktions-Know-how, müssen uns aber angesichts der unzähligen Auflagen und Vorschriften auch auf die Sachkunde der Planer und Ausführenden verlassen.“ Denn wenn etwas schief geht – wer soll dann haften?Fugen warten
Ein sensibles Thema, zumal im Zusammenhang mit dem Gewässerschutz. Reinhard G. Rischer, Sales- und Marketing-Manager AKZO Thioplast Chemicals: „Gerade die chemische Industrie hat häufig Standorte an exponierten Lagen, z.B. an Flüssen, und hat infolgedessen mit Auflagen ohne Ende zu tun. Damit alles stimmt, ist es eben nicht damit getan, dass diese Auflagen beim Bau eingehalten werden, wir reden über Wartung. Hier brauchen wir noch klarere Regelungen. Wer prüft ggf. die Abdichtung hinsichtlich Einsatz neuer Medien? Wer sorgt für die nachhaltige Kontrolle, nicht nur der Fuge, sondern des ganzen Systems? Für die Richtigkeit der Planung ist der Planer verantwortlich, für die fachgerechte Ausführung der Verfuger, für die Produktleistung des Dichtstoffs der Hersteller. „Doch dann kommt der Betreiber ins Spiel“, so Lunkwitz. „Und der kann sich eben nicht so einfach aus der Verantwortung stehlen wie die Tankstellenbetreiber, die durch Aushang den Kunden auffordern, Tropfverluste selber aufzunehmen.“
Dabei liegt das eigentliche Problem gar nicht bei den Tropfverlusten – solange die Fugenabdichtungen intakt sind. Wer – ob hier, ob in der Industrie – mit kritischem Blick über die Fugen geht, wird immer wieder auf Kleinteile wie z.B. Schrauben in den Fugen stoßen, und solchen mechanischen Angriffen ist auf Dauer der beste Dichtstoff nicht gewachsen. „Das ist dann auch kein Fall für die Gewährleistung mehr, auch wenn die Versuchung für den Investor groß ist“, so Haaf, „wohl aber ein Fall für die Wartung. Denn jeder Betrieb fällt aus der Gewährleistung heraus, wenn er die Wartung nicht vornimmt.“ Und das kann durchaus bedeuten, die abgedichteten Flächen ggf. täglich zumindest optisch zu kontrollieren. Schließlich kann man eine Wartungsfuge mit Recht als eine Fuge definieren, bei der man auf Beschädigungen warten kann, wenn man sie nicht wartet. „Oder man lässt sie sinnvollerweise über die optische Prüfung hinaus regelmäßig von einem Fachbetrieb warten“, so Haaf. „Zumindest in meinem Betrieb halte ich es so, dass ich bei Wartungsfugen dem Betreiber oder Auftraggeber generell Wartungsverträge nach DIN 52460 anbiete. Natürlich ohne dabei den Betreiber aus seiner Verantwortung zu entlassen.“ Denn Wartung heißt auch, Betreiberfehler zu überwachen – in seinem Interesse. Lunkwitz: „Die Wartungsfuge dient ja nicht dazu, den Pfusch des Ausführenden zu verbergen, sondern die Investition des Investors zu erhalten.“
Qualitätspartnerschaft Bodenfuge
Louis Schnabl: „Man sieht: Alle sind irgendwie und irgendwo verantwortlich, die Dichtstoff herstellende Industrie, die Betreiber, die Zulassungsbehörden, die Planer, die Ausführenden. Aber wie können wir Verantwortung für das Ganze wahrnehmen, nämlich die im Sinne des Umweltschutzes dauerhaft funktionierende Fuge?“ Wenn viele nur ein bisschen wissen, ist klar, wo die Richtung hingeht. „Wir brauchen die umfassende Qualifizierungsoffensive.“ Für Kluge ist auch klar, wo diese herkommt: „Am besten sind die Hersteller informiert. Sie und ihre Verbände sind gefragt! Wir brauchen den IVD in Sachen Kommunikation als Vorreiter und Koordinator. Wir brauchen den fachkundigen Planer und die autorisierten Verarbeiter. Und zwar nicht nur mit produktbezogenen Schulungen.“ Das ist eine Aufgabe, die sich der IVD seit seiner Gründung gestellt hat und die neben der Qualität der Dichtstoffe oberste Priorität hat. „Mit der Qualifizierung der gesamten Branche wäre unser Verband überfordert“, so Ohm. „Aber wir sind sicherlich die richtige Institution, Grundlagenkonzepte zu machen, für die Kommunikation in der Fachöffentlichkeit zu sorgen und Schulungen fachlich zu begleiten. Da sind wir gern die treibende Kraft.“ Was die gemeinsamen Schulungen mit dem FVF seit vielen Jahren auch beweisen. „Aber unsere Realität ist“, gab Haaf zu bedenken, „dass das Gütesiegel FVF bei der Auftragsvergabe oft weniger Wert hat als die scheinbar und zu Anfang geringeren Preise der Billiganbieter. Wo soll da die Motivation zur Qualifizierung herkommen?“ „Wahrscheinlich brauchen wir einfach mehr Druck“, so Rischer. „Das funktioniert nur, wenn es den Zwang gibt, die Qualifikation auch nachzuweisen.“ Oder wenn die Industrie die Verarbeitung ihrer Produkte mit der Autorisierung der Fachbetriebe verknüpft. Oder der – nach entsprechender Qualifizierung – fachkundige Ingenieur die Fuge tatsächlich verantwortlich von der Planung über die Abnahme bis zur Wartung begleitet. „Die bessere Ausbildung für Planer und Ausführende ist unbe-stritten wichtig – einen Teil davon könnte man sich aber sparen, wenn die rechtlichen Grundlagen vereinfacht würden.“ Damit rannte Ohm bei Ullrich Kluge offene Türen ein. „Wir sind zwar formal eine Behörde, von der Aufgabe her allerdings auch Ihr technischer Partner, der gerne Ihren Input umsetzt. Es ist in der Tat nicht einzusehen, dass wir bei gleicher Beanspruchung verschiedene Regeln haben. In Teilbereichen ist es uns schon jetzt gelungen, aus zwei einzelnen eine Regel zu machen, etwa für Tankstellen (TRwS 781 bis 784), wo wir jetzt endlich einheitliche Regeln haben. Diese Tendenz setzt sich auch in den europäischen Zulassungen fort, die zum Teil in Vorbereitung bzw. kurz vor der Erteilung im DIBt sind. Auch auf diesem Gebiet ist das DIBt Wegbereiter.“Bodenfuge im Fokus
Im Verlauf der Diskussion war eines sicher deutlich geworden: Es ist Zeit für einen Bewusstseinswandel. „Wir können es uns auf Dauer nicht leisten“, so Schnabl, „den Preis aufs Podest zu heben und die Kosten am Boden zu lassen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Aber nur, wenn wir nicht einzeln, sondern konzertiert daran arbeiten, dass Qualität und Qualifikation sich ohne Ausnahmen und Ausfälle über alle Stufen hinweg durchziehen. Von den Rohstoffherstellern über die Dichtstoffhersteller bis zur anwendenden Industrie. Und von den ausschreibenden Stellen über die Planer und die Ausführenden bis hin zu den Betreibern.“ HS
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